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13.06.2019

Inkontinenz beim Mann: Evidenz Beckenboden und Elektrotherapie (M.C. Butea-Bocu, U. Otto)


Inkontinenz beim Mann: Evidenz Beckenboden und Elektrotherapie
Autoren: M.C. Butea-Bocu, U. Otto
Urologisches Kompetenzzentrum für die Rehabilitation „UKR“ Bad Wildungen
(Nov.-Dez.-Ausgabe 2018 der urologischen Nachrichten)

Die häufigste Ursache für Harninkontinenz beim Mann besteht in der iatrogenen Inkontinenz nach Operationen an der Prostata. Interessanterweise existiert eine Vielzahl sehr unterschiedlicher Angaben zur Häufigkeit der Inkontinenz nach radikaler Prostatektomie. Erfolgt die Erhebung durch den Operateur so liegt diese zwischen 5-10% und bei einer Fremderhebung bewegen sich die Inkontinenzraten von 30 bis 69%.

Dem liegen vielfältige Ursachen zu Grunde. Es ist bekannt, dass die postoperative Harninkontinenzrate von zahlreichen Faktoren beeinflusst wird, zu denen das Alter, die Nerverhaltung, die Komorbiditäten, der sozioökonomische Status, der Operateur, die Größe der Prostata, die Fettleibigkeit oder die Inanspruchnahme einer stationären Rehabilitationsmaßnahme, um nur wenige zu nennen zählen.

So unterschiedlich die Inkontinenzergebnisse sind, so unterschiedlich sind auch die internationalen Empfehlungen zur Therapie der post Prostatektomie Inkontinenz. Ihnen allen ist jedoch die Empfehlung zur Physiotherapie gemeinsam, wobei auch hier sehr unterschiedliche Ansätze, Methoden oder Schulen verfolgt werden.

Hervorzuheben ist die evidenzbasierte Empfehlung der „Interdisziplinäre Leitlinie der Qualität S3 zur Früherkennung, Diagnose und Therapie der verschiedenen Stadien des Prostatakarzinoms“ in ihrer aktuellsten Version von April 2018. Danach soll die postoperative Harninkontinenz nach radikaler Prostatektomie mithilfe multimodaler Konzepte therapiert werden. Im Mittelpunkt des Kontinenztrainings bei Belastungsinkontinenz sollen hierbei die klar definierte Physiotherapie mit Osteopathietechnik und die Feldenkraistechnik stehen. Andere Form der Inkontinenz sollen evaluiert und gegebenenfalls entsprechend behandelt werden.

Ob die Elektrotherapie zur Wiederherstellung der Kontinenz hilfreich ist wird in der Literatur kontrovers diskutiert.

Betrachtet man die Evidenzlage der Elektrotherapie im Zusammenhang mit der Inkontinenz beim Mann so finden sich beispielsweise in den Guidelines der „American Urological Association“ hierzu, bis auf verhaltensmodulatorische Aspekte, keine Empfehlungen. Auch ein Blick auf die „American Society of Clinical Oncology“ Guidelines zeigt unter Punkt 32 eine Empfehlung zur Physiotherapie für die Beckenbodenrehabilitation wobei, relativ unreflektiert, mindestens ein Beckenbodentraining nach Kegel empfohlen wird.

Es ist hinreichend bekannt, dass diese in den sechziger Jahren entwickelte Trainingsmethode keine vergleichbaren Erfolge beim Mann aufweist verglichen mit der, aufgrund eines Descensus verursachten, Inkontinenz der Frau. Ein Blick in die Guidelines zur „Urinary Incontinenzce in Adults“ bestätigt zudem, eine widersprüchliche Evidenzlage betreffend einer Verbesserung der Inkontinenzrate durch zusätzliches Elektrostimulationstraining.

Als Grundlage der Empfehlung dient ein Review der Cochrane-Collaboration mit dem Titel „Electrical Stimulation with non-implanted electrodes for urinary incontinence in men“. Der Review schlussfolgert anhand von sechs randomisiert kontrollierten Studien, dass es einige Beweise für kurzfristige Verbesserungen durch ein mittels Elektrostimulation unterstütztes Beckenbodentraining gibt. Diese sind jedoch nach sechs Monaten im Vergleich zu Kontrollgruppen nicht mehr signifikant. Zwar konnte gezeigt werden, dass die Elektrostimulation innerhalb der ersten sechs Monate effektiver als eine Plazebostimulation ist, allerdings zeigten sich nach 12 Monaten wiederum keine Unterschiede in der Ausprägung der Inkontinenzraten in den beiden Gruppen. Allerdings gab es bedeutend mehr Nebenwirkungen im Rahmen der Elektrostimulation verglichen mit der Plazebo-Stimulation, wie beispielsweise Unterleibsschmerzen oder Unbehagen bei den Patienten.

Auch die aktuellen S3 Leitlinien zur Früherkennung, Diagnose und Therapie der verschiedenen Stadien des Prostatakarzinoms haben für ihre Empfehlung eine aktuelle Arbeit der Cochrane Library mit dem Titel „Conservative management for postprotatectomy urinary incontinence“ zu Grunde gelegt. Hier zeigten die verschiedenen konservativen, jedoch unspezifischen Interventionen, wie Beckenbodentraining, keinen Vorteil hinsichtlich der Inkontinenzraten. Es konnten Daten aus kleinen Studien identifiziert werden die in der Kurzzeitbeobachtung darauf hindeuten, dass Elektrostimulation, externe Magnetintervention oder eine Kombination möglicherweise effektiv seien. Zudem wurde Evidenz moderater Qualität identifiziert die den Nutzen eines postoperativen, undifferenzierten Beckenbodentrainings im Vergleich zur Kontrollintervention nach einem Jahr durch Inkontinenzraten von 10% versus 32% aufzeigte.

Das urologische Kompetenzzentrum für die Rehabilitation „UKR“ Bad Wildungen hat in diesem Zusammenhang bereits im Jahr 2005 eine Arbeit mit dem Titel „Die Elektrostimulation in der Therapie der postoperativen Harninkontinenz“ publiziert. Hierbei konnte im Rahmen einer placebokontrollierten, dreiarmigen Studie eine signifikante Wirksamkeit der Elektrostimulation nachgewiesen werden. Allerdings zeigte sich hier die Einschränkung, dass ein Effekt nur bei drittgradig harninkontinenten Männern nach radikaler Prostatektomie, nach der Einteilung nach Otto et al. festzustellen war. Zudem konnten diese positiven Effekte, aufgrund des genannten Nebenwirkungsspektrums, lediglich bei ausgezeichneter Compliance der Patienten nachgewiesen werden.

Nur die spezifischen im UKR kreierten physiotherapeutischen Konzepte konnten mehrfach ihre Wirksamkeit und Effektivität, wie beispielsweise in der prospektiven, im Vergleich von stationärer und ambulant durchgeführten Studie „Sozialmedizinische Evaluation einer fachspezifischen Rehabilitation nach radikaler Prostatovesikulektomie“ welche von der Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf ausgewertet wurde nachweisen.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass ein sinnvolles physiotherapeutisches Konzept zur Behandlung der post Prostatektomieinkontinenz des Mannes gut ohne eine Elektrostimulation auskommt, sofern das physiotherapeutische Konzept den Besonderheiten des unteren Harntraktes des Mannes bezüglich der veränderten Anatomie, Physiologie sowie der zugrunde liegenden Pathophysiologie wie es sich im multimodalen Therapiekonzept des UKR wiederspiegelt und praktiziert wird Rechnung trägt.

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